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Klarstellung: Was passiert in Süd-Tirol im Falle einer Erklärung über die Unabhängigkeit?

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Zu den Aussagen (Hinweis Karl Zeller) auf die Frage, was im Falle einer Unabhängigkeitserklärung in Süd-Tirol passieren würde („Dolomiten“, 12. Oktober Seite 3), gibt es einiges anzumerken.

In Zusammenhang mit der Selbstbestimmung wird meist nur auf Artikel 5 der italienischen Verfassung verwiesen, nicht auf die Artikel 10 und 11 bzw. auf die UNO-Menschenrechtspakte von 1966, die von Italien 1977 ratifiziert worden sind. Artikel 1 besagt: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung“. Artikel 3 besagt: „Die Vertragsstaaten haben entsprechend der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten“. Da kommen die Artikel 10 und 11 der italienischen Verfassung zum Tragen, wonach sich die italienische Rechtsordnung den allgemein anerkannten Bestimmungen des Völkerrechts anpasst bzw. Italien „den Beschränkungen der staatlichen Oberhoheit zustimmt, sofern sie für eine Rechtsordnung nötig sind, die den Frieden und die Gerechtigkeit unter den Völkern  gewährleistet…“

Genau darauf verwies der bekannte italienische Verfassungsrechtler Giuseppe Guarino 1983, als italienische Medien nach meiner ersten Wahl in den Landtag meinten, ich könne den Eid auf die Republik nicht leisten, weil die Forderung nach Loslösung Südtirols von Italien gegen Artikel 5 der Verfassung verstoße. Guarino erklärte damals, gerade weil ich das anstrebte, hätte ich den Eid zu leisten, da mir die Verfassung Italiens dies Kraft Artikel 10 und 11 erlaube, und ich lediglich verpflichtet sei, dies ausschließlich mit legalen demokratischen Mitteln zu tun.

Für die Wirksamkeit dieser beiden Verfassungsartikel und folglich die Einschränkung von Artikel 5 spricht auch der Gesetzentwurf zur Abhaltung des Selbstbestimmungs-Referendums in Südtirol, welchen Francesco Cossiga 2006 dem Senat vorgelegt hatte. Ein ehemaliger Staatspräsident, der sich dem Vorwurf aussetzt, einen verfassungswidrigen Gesetzentwurf einzubringen? Diese Blöße hätte er sich nicht gegeben! Man hat damals so manchen, auch beleidigenden, Kommentar in Südtirol gehört, aber von Verfassungswidrigkeit war nicht die Rede. Schade, dass es nicht zur Behandlung seines Entwurfs in der zuständigen Kommision gekommen ist, es wäre die Nagelprobe gewesen. Cossiga hatte leider nicht die nötige Unterstützung!

Die Behauptung, Rom könne zwar den Landtag im Falle der Ausrufung der Unabhängigkeit Südtirols absetzen, aber nicht die Autonomie entziehen, weil „nicht in der Verfassung vorgesehen“, ist nicht schlüssig, da die Rechtsgrundlage beider Inhalte über der italienischen Verfassung steht: Die Selbstbestimmung kraft mehrerer internationaler Abkommen, die Autonomie kraft Pariser Vertrages.

Die Aussage, eine reguläre Abstimmung für Südtirol gäbe es in Folge der „Unteilbarkeit“ Italiens im Gegensatz zu Bundesstaaten wie Deutschland, die auf freiwilligem Zusammenschluss beruhen, nicht, offenbart den verhängnisvollen Widerspruch: Demnach hätten Völker wie Südtiroler, Basken und Katalanen, die unfreiwillig in einen Staat und dessen Verfassung eingegliedert wurden, nie eine Möglichkeit, diesem Zwang zu entkommen, die anderen schon. Genau um diese Frage von Recht und Gerechtigkeit geht es aber! Da bräuchte es Unterstützung aus allen Bereichen, anstatt nur Achselzucken oder vorschnelles Abwinken.

Schließlich der Hinweis auf die Trennung des Kosovo, die „sicher nicht im Einklang mit der serbischen Verfassung erfolgte, doch lagen dort massive Menschenrechtsverletzungen vor“. Im Fall Katalonien liegen mittlerweile auch massive Menschenrechtsverletzungen vor!

Dr. Eva Klotz

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