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Andreas-Hofer-Gedenkrede von Hartmuth Staffler in St. Andrä

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Werte Anwesende, liebe Bürgerinnen und Bürger von St. Andrä, liebe Schützen …
Heuer ist es 200 Jahre her, dass der Tiroler Freiheitskampf in ganz Europa für Aufsehen gesorgt hat. Es ist dies ein Anlass, sich besonders intensiv mit diesen Ereignissen zu befassen, die unsere Tiroler Identität sehr stark geprägt haben. Im Laufe des Jahres 1809 hatten die Tiroler erstaunliche militärische Erfolge gegen die damals stärkste Militärmacht der Welt, gegen Frankreich und seine Verbündeten erringen können.

Zum Jahresende war der Aufstand jedoch zusammengebrochen, weil die
Übermacht zu groß war und weil der Feind immer brutaler gegen die
Zivilbevölkerung vorging. Zahlreiche Bauernhöfe und ganze Dörfer und
Märkte wurden geplündert oder niederbrannt, viele unschuldige Geiseln
erschossen. Auch wir hier im Raum Brixen haben das zu spüren bekommen,
als die Franzosen am 6. Dezember 1809 rund 200 Höfe und Ansitze um
Brixen in Brand setzten, wobei die Bewohner oftmals nichts aus dem Haus
tragen durften und dann noch zusehen mussten, wie ihr Hab und Gut
verbrannte. Im ganzen Land, vor allem im südlichen Tirol, wo der
Widerstand gegen die fremden Besatzer besonders heftig gewesen war,
wurden Anführer erschossen, darunter noch im Dezember 1809 am Brixner
Domplatz Johann Kircher von St. Leonhard, Bartlmä Pichler aus Milland
und Franz Haller aus Neustift. Im Februar 1810 wurden dann auch die
Todesurteile an Andreas Hofer und Peter Mayr vollstreckt. Damit schien
das Kapitel Tiroler Freiheitskampf endgültig erledigt zu sein, und zwar
mit einer vollständigen Niederlage.

Aber trotz dieser offensichtlichen Niederlage waren die vielen Opfer
nicht umsonst gewesen. Der Tiroler Freiheitskampf wirkte wie ein Fanal
für ganz Europa, das sich immer mehr der Diktatur Napoleons widersetzte
und ihn schließlich besiegte, so dass Tirol wieder zu Österreich
zurückkehren konnte – ein indirekter Erfolg des zunächst gescheiterten
Freiheitskampfes. Das Jahr 1809 und vor allem der Name Andreas Hofer
wurden in ganz Europa, beginnend von England und Norddeutschland, zu
einem Inbegriff für Freiheitswillen und Opferbereitschaft, für
Redlichkeit, Heimatliebe und Gottvertrauen. Und wenn wir uns heute hier
zusammengefunden haben, um den Andreas-Hofer-Gedenktag traditionsgemäß
zu begehen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass diese Werte, die wir
mit Andreas Hofer verbinden, auch heute noch aktuell sind. Der Name
Andreas Hofer hat seine Symbolkraft nicht verloren, obwohl er auch oft
missbraucht worden ist wie wohl auch die meisten anderen berühmten
Persönlichkeiten der Geschichte. Der Missbrauch, der mit dem Namen
Andreas Hofer betrieben wurde, sollte aber kein Grund, auf dieses
Symbol zu verzichten oder es als überholt zu betrachten. Vielmehr sollt
dies ein Ansporn dafür sein, dass wir uns intensiver damit befassen,
zumal Andreas Hofer und das Jahr 1809 einen wichtigen Teil unserer
Geschichte und damit unserer Identität darstellen.

Warum aber sind die Begriffe 1809 und Andreas Hofer für uns so wichtig?
Das hängt erstens damit zusammen, dass der Tiroler Freiheitskampf, wie
schon erwähnt, ein Ereignis von europäischer Bedeutung war, an dem man
nicht achtlos vorbeigehen kann. Zweitens hängt das mit der
Persönlichkeit von Andreas Hofer und von anderen Anführern wie etwa
Peter Mayr oder Peter Sigmair zusammen. Zu Helden geworden sind sie
nicht wegen der militärischen Erfolge, die sie ohne Zweifel hatten,
sondern durch die menschliche Größe, die sie in der Niederlage zeigten.
Sie waren bereit, sich zu opfern, um damit andere Menschenleben zu
retten und um der Welt zu beweisen, wie wichtig ihnen die Werte waren,
für die sie gekämpft hatten.

Der Tiroler Freiheitskampf und Andreas Hofer sind aber auch, und das
ist der dritte Grund für ihre bis heute anhaltende Bedeutung, zu
Symbolen geworden, weil sie nicht nur für die Ereignisse eines Jahres,
sondern für eine jahrhundertelange Entwicklung stehen, die eben im Jahr
1809 und in der Person Andreas Hofer einen Höhepunkt gefunden haben..

Das Jahr 1809 wäre nämlich nicht möglich gewesen, wenn sich nicht schon
in den Jahrhunderten davor die Freiheit zu einem für alle Tiroler
wertvollen Gut herauskristallisiert hätte. Es geht dabei nicht nur um
die Freiheit des Landes, sondern auch um die Freiheit des Einzelnen,
und in dieser Beziehung war Tirol, trotz aller Mängel und auch
Rückschläge, die es gegeben hat, vorbildlich. So ist die
Leibeigenschaft bei uns bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts
verschwunden. Damit war Tirol eines der ersten Gebiete in Europa, die
die persönliche Freiheit aller ihrer Bürger garantierten, während sich
die Leibeigenschaft in anderen Teilen Europas bis in das 19.
Jahrhundert hielt. Bürger und Bauern haben in Tirol aber nicht nur
früher als anderswo die Freiheit erhalten, sie haben auch in der
Landespolitik mitreden können und dies nach Kräften getan.

Die Tiroler Landstände, aus denen sich der Landtag entwickelte, wurden
schon unter Graf Meinhard II. Ende des 13. Jahrhunderts eingeführt. Zu
ihnen zählten die hohe Geistlichkeit, der Adel, Bürger und Bauern. Als
die Landesfürstin Margarethe im Jahr 1342 den bayerischen Herzog Ludwig
den Brandenburger heiraten wollte, stellten die Landstände ihre
Bedingungen und erwirkten von Ludwig den Großen Tiroler Freiheitsbrief,
in dem Ludwig die bestehenden Rechte des Landes bestätigte. Er
versprach, keine Steuern ohne Zustimmung der Landstände einzuführen und
als Landesfürst keine Ausländer in den Dienst zu nehmen. Der
Freiheitsbrief war erstmals nicht nur an Adlige und Geistliche, sondern
auch an Städte, Dörfer und Märkte und alle Leute, edel oder unedel,
reich oder arm gerichtet. Zwar hat sich Ludwig danach nicht mehr recht
an diesen Freiheitsbrief erinnern wollen, aber die Tiroler haben sich
sehr wohl daran erinnert , sie haben ihren jeweiligen Landesfürsten
diesen Freiheitsbrief immer wieder unter die Nase gehalten und sich die
Freiheiten bestätigen bzw. erweitern lassen. Und so hat sich auch
infolge der Hartnäckigkeit der Tiroler im Laufe der Zeit ein ganzes
Bündel von Freiheiten entwickelte, das Tirol auch innerhalb des
Habsburger Reiches eine Sonderstellung einräumte.

Von besonderer Bedeutung war dabei die Wehrfreiheit, die der
Landesfürst Herzog Friedrich, genannt Friedl mit der leeren Tasche
erstmals 1406 schriftlich fixierte. Damit war festgelegt, dass das
Bürger- und Bauernaufgebot nur zur Verteidigung des Landes eingesetzt
werden durfte. Als freie Bürger des Landes, in dem die Leibeigenschaft
mit diesem Datum praktisch aufgehört hatte, durften die Tiroler ja auch
Waffen tragen.

Das alles waren keine Geschenke, die die Landesfürsten ihren Tiroler
Untertanen machten, sondern es waren manchmal mühsam ertrotzte, immer
wieder gefährdete Rechte, die auch immer wieder eingefordert werden
mussten. Wichtigster Ort dafür waren die seit 1424 ziemlich regelmäßig
abgehaltenen Landtage, an denen neben dem Adel und den Prälaten auch
die Vertreter der Städte und der Land- und Hofmarkgerichte, also der
Bürger und Bauern gleichberechtigt teilnahmen. Dieses dauernde Bemühen
um möglichst viel innere und äußere Freiheit durch die Jahrhunderte
hindurch hat die Tiroler Mentalität stark geprägt. Als Kaiser
Maximilian im Jahr 1511 im Einvernehmen mit den Landständen das
berühmte Landlibell erließ, bestätigte er mit dieser Wehrverfassung
eigentlich nur das, was sich bereits in den Jahrhunderten zuvor
entwickelt hatte, nämlich die Befreiung von Kriegsdienst außerhalb des
Landes bei gleichzeitiger Verpflichtung, das eigene Land zu
verteidigen. Ausdrücklich bestätigt wurde auch das Recht der Bürger und
Bauern, Waffen zu tragen, ein Recht, das im übrigen Reich dem Adel
vorbehalten war.

Die Eigenständigkeit Tirols innerhalb des Habsburgerreiches hat zwar
auch Rückschläge erlitten, vor allem in der Zeit des Absolutismus und
besonders nach dem Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger mit dem
Tod von Erzherzog Sigmund Franz im Jahr 1664, 
Der Landtag wurde kaum mehr einberufen, die Verwaltung immer zentralistischer.

Das Bewusstsein der Tiroler Eigenständigkeit und der unbändige
Freiheitswille blieben jedoch erhalten, und nur so war der Erfolg vom
Jahr 1702 möglich, als nicht das reguläre Militär, sondern die Tiroler
Landesverteidiger die Franzosen und die Bayern zurückschlugen, die im
Zuge des spanischen Erbfolgekrieges Tirol besetzen wollten..

Erst wenn man diese Vorgeschichte, dieses jahrhundertelange Ringen der
Tiroler um persönliche und gemeinschaftliche Freiheiten kennt, dann
wird man das Jahr 1809 in seiner ganzen Bedeutung verstehen können.
Unzufriedenheit hat es ja auch in anderen besetzten Gebieten gegeben,
wenn die neuen Herren strenger waren oder mehr Geld verlangten als die
früheren. Es hat auch Versuche gegeben, sich gegen die französische
Herrschaft aufzulehnen, so etwa in Venetien, wo man voll Bewunderung
nach Tirol blickte und auch Kontakte zu Andreas Hofer knüpfte. Für
größere Erfolge fehlten aber wesentliche Voraussetzungen wie das in
Jahrhunderten entwickelte Gefühl der Zusammengehörigkeit in einem
eigenen Land, das zu verteidigen man bereit war, und es fehlten auch
die Persönlichkeiten, die das Vertrauen des Volkes besaßen. In Tirol
waren besondere Voraussetzungen vorhanden, die Tiroler waren nicht
bereit, sich unterzuordnen, sie waren es gewohnt, sich für ihre
Eigenständigkeit einzusetzen und dafür auch zu kämpfen, sie wollten
sich nicht ihre alten Privilegien nehmen lassen, ihr religiöses
Brauchtum, ihre Wehrfreiheit, den Namen des Landes, und sie hatten die
geeigneten Führungspersönlichkeiten, in erster Linie Andreas Hofer. Er
hat diese Einstellung seiner Landsleute wie kein anderer verkörpert. Es
war für ihn selbstverständlich, für sein Land Tirol und für die
überlieferten Rechte und Eigenarten dieses Landes – wir würden heute
sagen für seine Identität – zu kämpfen, und es war für ihn
selbstverständlich, nach dem Scheitern des Kampfes gottergeben die
Folgen zu tragen. Wenn wir heute daraus etwas lernen, wenn auch wir, so
wie es die Tiroler immer getan haben, unser Land verteidigen ohne
andere anzugreifen, wenn wir unsere Identität bewahren und andere
respektieren, dann ist der Kampf von Andreas Hofer und seinen Männern
vom Jahr 1809 letzten Endes doch nicht gescheitert, sondern er wirkt
sich auch in unserer Zeit noch positiv aus.

Das Gedenken an Andreas Hofer und seine Mitstreiter sowie an alle
anderen, die für die Verteidigung der Tiroler Identität und der
Freiheit des Landes gefallen sind, ist daher keine Formsache, sondern
ein Bekenntnis zu unserer Geschichte und zu unserer Identität mit allen
ihren positiven und auch negativen Seiten. Wir denken heute mit Dank
und Hochachtung an die Männer und Frauen von 1809 und an alle anderen
Gefallenen für die Heimat, hier in St. Andrä ganz besonders auch an
Anton Gostner, der am 7. Jänner 1962 im Gefängnis in Bozen an den
Folgen der Misshandlungen gestorben ist. Sie haben jeweils in ihrer
Zeit versucht, das Beste für ihre Heimat zu geben, so wie es eben in
ihrer Möglichkeit war. Wenn auch wir heute uns bemühen, nach bestem
Wissen und Gewissen für unsere Heimat zu handeln, dann haben wir uns
dieser Männer und Freuen und unserer Geschichte würdig erwiesen.

Hartmuth Staffler

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